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Landwirtschaft

Sternekoch Paul Ivić im Interview: Die Ernährung und Landwirtschaft von morgen

Fotos: Ingo Pertramer

In einem exklusiven Interview spricht Paul Ivić, TIAN-Küchenchef und Vorreiter für nachhaltige Ernährung, über sein Engagement für eine umweltfreundliche Lebensmittelproduktion und die Herausforderungen der vegetarischen Küche. Der renommierte Sternekoch betont die dringende Notwendigkeit, Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen und die Biodiversität zu schützen. Mit einem starken Fokus auf lokale und saisonale Zutaten und regenerative Landwirtschaft zeigt er Wege auf, wie wir gemeinsam eine nachhaltigere Zukunft gestalten können.

Paul Ivić

Küchenchef und Geschäftsführer des vegetarischen Restaurants TIAN

Sie engagieren sich stark für nachhaltige Lebensmittelproduktion und die Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung. Was hat Sie dazu inspiriert, sich für diese Themen einzusetzen?

Für meine Eltern und Großeltern war es selbstverständlich, dass keines der Lebensmittel verschwendet wurde. Für sie hatten Lebensmittel noch einen Wert und eine Bedeutung. Es wurde sich damit beschäftigt, wie und was man alles verwerten konnte.

Theoretisch gäbe es aktuell genug Nahrung für alle Menschen auf unserem Planeten. Doch wir konsumieren leider nur ein Drittel der Lebensmittel, die wir produzieren. Mit dieser Form der Nahrungsproduktion zerstören wir die Ozeane, die Wälder, die Böden und damit die für uns Menschen lebensnotwendige Biodiversität. Wir zerstören damit das gesamte Ökosystem! Das müssen wir einsehen – und dann etwas daran ändern!

Können Sie uns über Ihre persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen bei der Umstellung auf eine rein vegetarische Küche in Ihrem Sternerestaurant erzählen?

Aller Anfang ist schwer. Es ist und bleibt jedoch eine wunderbare, interessante und große Herausforderung. Wir haben beständig und stetig daran gearbeitet, dass wir nicht nur Akzeptanz finden, sondern Besucher:innen und auch Mitarbeiter:innen für das begeistern können, was wir tun.

Inwiefern glauben Sie, dass Ihre vegetarische Küche einen Beitrag zur nachhaltigeren Lebensmittelproduktion leisten kann?

Wir alle sollten nicht nur an heute, sondern auch an morgen denken. Es gab eine Zeit, in der ich mit diesem Satz nur wenig anfangen konnte. Ich habe Profitmaximierung vor Menschen, Natur, Tier und auch mich selbst gestellt. Mir war alles egal! Obwohl ich mich als Koch intensiv mit der Wirkung von Ernährung beschäftigt hatte, kaufte ich für meinen damaligen Arbeitgeber Unmengen an billiger, minderwertiger Ware ein: Fleisch von kranken Tieren, voll mit Antibiotika und Hormonen; Garnelen und Zuchtlachs, in Chemikalien gezüchtet. Und auch das bezogene Obst und Gemüse war mit unzähligen Pestiziden nahe den erlaubten Grenzwerten behandelt. 

Rückblickend und hart ausgedrückt: Ich servierte meinen Gästen zwar „Instagram-taugliches“ – doch vergiftetes – Essen. Damit machte ich mich am Schluss auch selbst kaputt. Diesen Irrsinn musste ich also durchbrechen.

Ich begann mich zu fragen, was meine Arbeit für mich konkret bedeutet: Welche Auswirkungen hat Essen auf uns als Gesellschaft? Wie beeinflusst der Fokus auf Qualität unsere Umwelt, Wirtschaft, Gesundheit und unser soziales Verhalten? Welchen Beitrag habe ich als Gastronom zu leisten? Wenn man Ernährung ganzheitlich betrachtet, kann man sehr viel sehr schnell verändern. Denn: Unsere Ess- und Einkaufsgewohnheiten haben einen sehr starken Einfluss auf Ökologie, Ökonomie und Sozialverhalten – und nicht zuletzt auf unsere Gesundheit.

„Wenn sich dieses System nicht ändert, dann gibt es aber kein Morgen mehr. Wenn wir dieses System nicht aktiv ändern, dann gibt es dieses Morgen nicht mehr, nicht für uns, unsere Kinder und Kindeskinder. Denn es ist eben nicht egal, was wir heute tun – und wie wir es tun.“

Paul Ivić

Unser Fokus liegt daher in allen Betrieben auf der Saisonalität unserer Produkte – bevorzugt von lokalen Produzent:innen, die eine regenerative Landwirtschaft betreiben. Wir arbeiten mit dem, was sie uns liefern; wir brauchen diese Biodiversität. Es ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoller für uns.

Für mich beginnt zunächst alles mit einem gesunden Boden. Er ist unsere Lebensgrundlage und eine Antwort auf diese Fragen. Ein gesunder, nährstoffreicher Boden nährt unsere Lebensmittel und damit versorgt er auch uns. Ein gesunder Boden erhält unsere Landschaft und auch unseren Wohlstand. Wir können das vor Ort aktiv mitsteuern.

Wie sehen Sie die Zukunft der vegetarischen Küche? Welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren? Die vegetarische – und vor allem die vegane – Küche wird eine noch viel größere Rolle spielen. Das Angebot wird größer und breiter; zum einen, weil die Nachfrage kontinuierlich steigt; zum anderen, weil sich immer mehr Menschen mit der Thematik eines nachhaltigeren Lebens beschäftigen (müssen).

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