Food Waste (Lebensmittelverschwendung) ist in Österreich ein omnipräsentes Problem: Jährlich werden in unserem Land so viele Lebensmittel weggeworfen, wie ganz Graz im selben Zeitraum isst.
Clemens Mayer
Experte für Digitales und Nachhaltigkeit
Laut Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) landen bei uns jedes Jahr ca. 157.000 Tonnen verpackte und unverpackte Lebensmittel sowie Speisereste im Müll. Europaweit sind es jährlich 88 Millionen Tonnen. Diese Verschwendung verschärft den weltweiten Hunger, steigert den CO2-Ausstoß und ist auch ethisch fragwürdig.
„Abfall“ könnte Welthunger stoppen
Wir leben in einem Land, in dem uns mehr Nahrung zur Verfügung steht, als wir benötigen. Durch diese Massen an Lebens- und Genussmittel entsteht Food Waste. Doch was genau versteht man unter diesem immer präsenter werdenden Terminus? Er beschreibt die Differenz zwischen der vorhandenen Gesamtmenge an Essen und dem tatsächlichen Verzehr (auch bei Lebensmittelverlust, Food Loss).
Food Loss fällt schon im Produktionsverfahren bzw. in der Landwirtschaft an. Produkte, die dort verloren gehen, schaffen den Weg erst gar nicht bis zu den Konsument:innen.
Food Waste bezeichnet hingegen die Lebensmittel, die wir im täglichen Konsum nicht verwerten. Dazu zählen zum Beispiel das übrig gebliebene Essen im Restaurant und der schimmelige Streichkäse.
Pro Jahr wirft jede:r Österreicher:in im Schnitt 19 Kilogramm Essen in den Müll. Pro Haushalt sind das ganze 300 Euro, die verloren gehen. Brot und Süß- und Backwaren stehen an erster Stelle, gefolgt von Obst und Gemüse. Gemäß des Kinofilms „Taste the Waste“ würden die in Europa und Nordamerika weggeworfenen Lebensmittel ausreichen, um alle an Hunger leidenden Personen der Welt dreimal zu ernähren!
Abfall ist nicht gleich Abfall
Essen wegzuwerfen ist eine Unsitte unserer Gesellschaft. Aus Umweltsicht hat jedoch nicht jeder Abfall gleich große Auswirkungen. Der Energieaufwand, der bei der Herstellung eines Produkts entsteht, ist ausschlaggebend für die Belastung der Umwelt. Das Wegwerfen von Fleisch ist deshalb am schädlichsten: In einem Kilogramm stecken zwischen sechs und 16 Kilogramm Futtermittel. Neben der benötigten Energie für die Herstellung ist es essenziell, den Transportweg miteinzubeziehen. Demnach ist ein verfaulter Apfel aus dem eigenen Garten, der im Kompost landet, weniger belastend als eine Ananas aus Costa Rica.
Kreislauf der Verschwendung
Food Loss beschreibt, wie erwähnt, Essen, das bereits vor Ankunft bei Endkonsument:innen verloren geht. Die Universität für Bodenkultur Wien stellte in einer Studie fest, dass die übertriebenen Vermarktungsnormen Hauptursache für die Verschwendung von Nahrung sind. Zweibeinige Karotten oder Bananen mit braunen Flecken werden beispielsweise oft nur aufgrund der Optik aussortiert.
In der Landwirtschaft entstehen Abfälle durch das Aussortieren von einwandfreiem Obst und Gemüse, das nicht der optischen Norm entspricht. Bei der Produktion entsteht Abfall, der durch technische Störungen hervorgerufen wird, wie z. B. durch falsche Etikettierung. Im Groß- und Einzelhandel werden täglich Unmengen an essbaren Lebensmitteln weggeworfen. Das liegt zum einen daran, dass wir Einkäufer:innen stets frische Produkte fordern, und zum anderen, dass einwandfreie Produkte, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, aus rechtlichen Gründen nicht mehr verkauft werden dürfen.
Food Waste ist schließlich das, was in Haushalten und in außerhäuslicher Verpflegung anfällt. Letzteres bezieht sich auf Restaurants, Betriebskantinen oder Ähnliches. Halb gegessene Portionen, Fehlkalkulationen der Mengen und Buffetbetrieb führen zur Vergeudung von kostbarer Nahrung.
Wer suchet, der findet
Mit „Dumpstern“ lehnen sich Gruppen und Einzelpersonen gegen die Verschwendung von Essen auf. Sophie, eine 24-jährige Wienerin, wurde vom Online-Medium 1000things bei einer Dumpster-Tour begleitet. Ihr Ziel sind die Supermarkttonnen. Meistens durchwühlt sie die Supermarktcontainer aus Scham alleine, weil ihre Freund:innen sonst glauben würden, sie könnte sich das Essen nicht leisten. Beim „Containertauchen“ geht es der Sozialarbeiterin aber um die Wertigkeit der Lebensmittel. Meist findet sie originalverpackte Lebensmittel, mit denen sie sich und Freund:innen versorgen kann. Rechtlich gesehen befindet sich Dumpstern in Österreich in einer Grauzone. Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, sagt gegenüber derStandard.at: „Müll ist eine herrenlose Sache.“ Ergo: Was niemandem gehört, kann man auch nicht stehlen. Mittlerweile haben sich in Wien und Graz Dumpster-Szenen etabliert.
Wertschätzen statt wegwerfen
Natürlich ist diese Form der Wiederverwendung von Lebensmitteln nicht für jede:n etwas. Es gibt jedoch zahlreiche Wege, wie wir alle bereits einen Schritt vorher unseren Abfall reduzieren können.
Du fährst über das Wochenende weg und bist dir nicht sicher, ob dein Streichkäse die Reise überlebt? Vielleicht freut sich die Studentin nebenan über die Reste aus deinem Kühlschrank. Etabliere ein wöchentliches „Reste-Essen“ mit deinen Freund:innen oder nimm im Supermarkt doch lieber die Birne mit der Druckstelle. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist, dass wir unsere Lebensmittel und unsere Ressourcen wieder schätzen lernen.