Jan Gehl war ein Radikaler. Er hat in den 70er-Jahren angefangen, den Menschen als Ausgangs- und Endpunkt für jedes Architektur- und Städtebauprojekt zu sehen. Seine Einstellung hat sich seitdem nicht geändert, wir in Österreich haben nur langsam angefangen aufzuholen.
Viele neue Bauprojekte in Wien sind überdimensionierte Komplexe mit oft auch überdimensionierten Parks, wo aber erstaunlicherweise wenige Leute sitzen. Deshalb meine Frage: Wie zeigt man Menschen mit gigantischen Visionen und Plänen, dass einer der wichtigen Aspekte beim Bauen der menschliche Maßstab ist?
Ich kenne das Problem so gut, dass ich ihm einen Namen gegeben habe: zu viel Raum für zu wenige Leute. Heutzutage gibt es wenige Bewohner:innen pro Quadratmeter. Vor 120 Jahren fiel die neunfache Anzahl von Menschen auf einen Quadratmeter. Aus den damals prävalenten Großfamilien sind vermehrt Single-Haushalte geworden. (Zum Vergleich: In Kopenhagen gibt es 50 % Single-Haushalte.) Außerdem bauen wir zu viele Außenbereiche: Dachterrassen, Balkone, Innen- und Außenhöfe, Parks und Fitnessbereiche.
Es gibt jedoch nur eine gewisse Menge an Menschen, weswegen es sich mehr lohnt, seine metaphorischen Eier eher in wenige Körbe zu legen. Der beste Wohnbereich in Kopenhagen präsentiert sich durch die Reihenhäuser von 1905. Zwei bis fünf Stockwerke hoch, mit Vorgärten und nur einer Zugangsstraße für alles: Eingang, Freizeit und Spielen. Es funktioniert wunderbar und hat die höchsten Grundstückwerte der ganzen Stadt.
Gibt es in einer Welt, in der alle Waren, sogar Lebensmittel, geliefert werden und lokale Läden und Innenstädte aussterben, eine Möglichkeit, dass eine Nachbarschaft ihr wirtschaftliches und soziales Zentrum bewahren kann?
Dieses Problem gibt es in allen wirtschaftlich entwickelten Ländern der Welt. Die Corona-Einschränkungen haben diese Tendenzen stark beschleunigt: weniger Geschäfte in den Einkaufsstraßen, mehrere Shoppingcenter am Stadtrand, und in der Nachbarschaft mehr LieferfahrzeugeIn vielen Städten wird deshalb versucht, das Leben zurück in die Straßen zu bringen. Die Menschen sollten gehen, anstatt sich von Lieferwagen beliefern zu lassen.
Ich sehe hier zwei verschiedene Lösungsansätze:
Die leeren Ladenlokale werden kommunalen Einrichtungen zur Verfügung gestellt, wie beispielsweise Büchereien, Musikschulen, Kindergärten, Altenheimen und Kitas.
Die Orte werden zur Freizeitgestaltung genutzt; für Sportvereine, Musikstudios, Jugendorganisationen, NGOs, das Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen.
Städteplaner:innen wie Robert Moses haben Straßen und Parks genutzt, um das Design von ganzen Metropolen wie New York zu prägen. Brauchen wir solche Strippenzieher:innen für Fahrräder, das Zu-Fuß-Gehen und den menschlichen Maßstab?
Lassen wir bitte den brutalen Technokraten Robert Moses aus dieser Diskussion außen vor.
Hier gibt es ein sehr interessantes Muster auf der ganzen Welt zu beobachten. Oft sind einzelne Persönlichkeiten die treibende Kraft bei großen städtebaulichen Verbesserungen. Zu nennen sind zum Beispiel Bürgermeister:innen wie Enrique Penalosa (Bogotá), Michel Bloomberg (New York), Anne Hildalgo (Paris) oder Clover Moore (Sydney). Eine oder mehrere Personen können Bauwelten bewegen.