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Bauwirtschaft

„Fuck the Context“ taken out of Context

BLOX, Kopenhagen: Ein gläsernes Kubenensemble mit dem Danish Architecture Center (DAC) im Zentrum | © Foto: Rasmus Hjortshoj

Ellen van Loon

Partnerin und Architektin beim Office for Metropolitan Architecture (OMA)
© Foto: Frans Strous

Ellen van Loon, Architektin und Partnerin beim Office for Metropolitan Architecture über Wien, Weltenwandel und wie Innovation in der Architektur noch immer möglich ist.

Denken Sie, dass Ihre Mit­arbeiter(innen) Ihnen beson­ders durch die verschiedenen kulturellen Hintergründe bei der Recherche helfen?

Der Mix der Nationalitäten im Büro schafft eine Atmosphäre, wo Leute objektiver urteilen können, was in bestimmten Kulturen oder bestimmten Städten relevant ist. Ich habe vor 20 Jahren auch in Büros gearbeitet, wo es außer mir nur eine Nationalität gab.

Dort habe ich gemerkt, dass bei Leuten mit ähnlichen Hintergründen und Nationalitäten oft die Sichtweise sehr beschränkt ist.

Jetzt kann man einen Wandel bei den Architekten sehen, vor allem wenn man auf die Studieren­den schaut, haben hier besonders die Erasmus-Austauschprogram­me Leuten den Weg in die Ferne vereinfacht. Auch bei uns im Büro sind viele ausländische Mitarbei­ter, die auch durch das Studium nach Holland gekommen sind und danach bei uns angefangen haben.

Auf einem leeren Platz, wo niemand bauen wollte, haben Sie mit Blox ein faszinierendes Gebäude erschaffen. Sehen Sie sich noch mehr gefordert, wenn Sie starke Beschränkun­gen bei einem Projekt haben?

Je größer die Einschränkung, des­to mehr ist der Architekt gefordert alles neu zu überdenken. Dadurch muss man neu evaluieren und ist offener, was neue Ideen und Lösungen angeht. In unserem Büro gilt die Devise: Jede Ein­schränkung ist eine Möglichkeit.

Es ist sehr wichtig, als Archi­tekt kritisch, aber auch offen zu sein für neue Funktionen, neuen Gebrauch. All unsere Mitarbeiter sind ständig dabei das Rad neu zu entwerfen. Das ist der „Drive“ und die Kultur, welche wir in unserem Büro fördern und fordern.

Würde man nach der Fertig­stellung eines Gebäudes einige Dinge ändern, je nach­dem wie das Gebäude genutzt wird?

Manchmal kommt nach Jahren der Benutzung ein neues Bedürf­nis auf. Zum Beispiel war früher ein kleiner Eingang von Nöten, heute müssen wir, aufgrund der gewachsenen Besucherzahlen, natürlich umbauen. Nicht direkt, aber später.

Auftraggeber können sich oft nicht eine genaue Vorstellung vom Gebäude machen, wenn sie eine Skizze sehen. Daher sehen diese oft erst nach dem Bau noch zusätz­liches Potenzial für das Gebäude. Diese Art von Änderung finde ich unglaublich wichtig. Wir sehen Architektur nicht als Gesamtkunst­werk, was man nicht mehr anfassen darf, oder verändern darf. Die Gebäude müssen anpassbar sein, am liebsten natürlich von uns.

Nationalbibliothek Katars, Doha | © Foto: OMA

Wie fühlt es sich für eine Ar­chitektin an, wenn ein Gebäude kreativ zweckentfremdet wird?

Das ist eine gute Sache, wir sind als Architekten nicht Alleindenker, wir denken mit dem Nutzer. Wenn der Nutzer seine Kreativität nutzt, ist das eine gute Sache. Wir bauen ein Gebäude für im Vertrag definierte 25/50 Jahre, aber der Innenausbau wird alle fünf Jahre umgebaut, deshalb gibt es immer zwei ver­schiedene Zeitschienen in einem Gebäude. Ich denke, als Architekt muss man es schaffen, dass genau dies möglich ist.

Ich wollte kurz auf die kontro­verse oder eher nicht kont­roverse Aussage von Herrn Koolhaas, „Fuck the Context“, eingehen. Sie akzeptieren und arbeiten mit dem Kontext, ist das eine Devise von Ihnen?

Nein, das Problem mit „Fuck the Context“ ist, dass es „Out of Con­text“ genommen wird und wurde. Der Ausspruch stammt aus einem Text aus einem anderen Zeitalter. Damals wurden neue Gebäude in einem historischen Teil einer Stadt diskutiert und zu dieser Zeit wurde die Diskussion sehr beschränkt geführt. Das Gute an der Aussage ist, dass Leute sich heute noch damit beschäftigen. Manchmal muss man als Architekt auch sehr drastische Aussagen treffen, damit sich etwas im Bewusstsein der Leu­te verändern kann. Der Ausspruch sollte nie wortwörtlich genommen werden, sondern die Denkweise ändern, wie wir mit Kontext umge­hen. Eine freie, offene Denkweise war die Devise. Fuck the context is taken out of context.

Sehen Sie es als eine der Auf­gaben Ihrer Gebäude an, zu kommunizieren und Raum für Kommunikation zu bieten?

Das Wichtigste in einem Gebäude ist die Kommunikation. Vor allem in den letzten 1 ½ Jahren haben wir alle dies erfahren. Wir sitzen alle Zuhause, deshalb ist jetzt die Funk­tion der unerwarteten Begegnung noch viel wichtiger als zuvor.

Ich möchte kurz vom einzelnen Gebäude hin zur Stadt. Die Ma­riahilferstraße ist eine gute Be­gegnungsmöglichkeit, die zwar auf Kommerz basiert, aber Raum für Begegnung schafft. Wie finden Sie die öffentlichen Plätze und Räume in Wien?

Im Vergleich mit anderen Städten hat Wien schöne Plätze, grüne Plätze. Die Mariahilferstraße als Begegnungszone zu bezeichnen fin­de ich ausgezeichnet, von mir aus könnte es noch etwas grüner sein.

Wien hat aus einer städte­baulichen Perspektive aus der Vergangenheit schöne Strukturen geerbt. Die Gassen, Innenhöfe und Plätze schaffen Raum, um auf eine poetische Weise der Stadt zu begeg­nen. Dies sind auch oft historische Gebäude, welche unheimlich schön sind. Einzig bei der Dach­landschaft sehe ich noch einiges an Potenzial. Diese kann man als zweite Straßenebene sehen, welche etwas höher liegt.

KaDeWe Vienna The Link, Wien | © Foto: OMA

Arbeiten Sie komplett digital?

Wir arbeiten ca. zu 80 % digital, sind aber in einem Punkt noch sehr altmodisch: Wir bauen unheimlich viele Modelle. Wenn wir ein Gebäu­de entwerfen, bauen wir uns ein Modell, denn das Modell hat den Vorteil, den Entwurf als Ganzes sehen zu können. Als Architekt ist es wichtig, jede Oberfläche von jeder Seite sehen zu können.

Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Begriff in dieser Zeit. Denken Sie wir sind hier auf dem richti­gen Kurs?

Das ist eine schwierige Diskussion.

Meiner Meinung nach ist das Thema Nachhaltigkeit oft nicht mehr als eine Marketingaussage und oft nicht wahr. Mir ist es unglaublich wichtig, ein Bewusst­sein zu schaffen, wie und wo Pro­dukte herkommen und was davon recycelt wird. Jetzt ist eine Zeit gekommen, wo wir als Endkonsu­menten wissen wollen, ob das, was uns verkauft wird, auch tatsächlich wahr ist.

Wir arbeiten auch viel mit Modeunternehmen. Das Witzige ist, dass wir uns in der Bauwelt mehr mit Recycling und umwelt­freundlichem und ressourcenscho­nendem Produzieren beschäftigen als die ganze Fashion-Industrie. Wenn berühmte Marken lieber die alte Kollektion verbrennen, als diese vergünstigt auf den Markt zu bringen, dann liegt hier einiges im Argen. Nachhaltigkeit ist kein Thema nur für die Architektur (Bauwesen), sondern für uns alle und ich denke, dass es auch im Alltag mehr ins Bewusstsein gerufen werden muss und nachvollziehbar sein müsste.

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